Forderungen und Ziele
Hintergrund unserer Forderungen
Ca. 1,5 [1] Millionen erwachsene Bürger:innen und ca. 40.000 [2] Minderjährige leben in Deutschland mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Die Gesamtzahl von Betroffenen mit muskuloskelettalen Erkrankungen addiert sich auf über 18 Millionen [3]. Diese Bevölkerungsgruppe benötigt zur Sicherung der Lebensqualität und der Verdienstmöglichkeit (mehr als die Hälfte der Betroffenen ist im erwerbstägigen Alter) eine lebenslange Betreuung durch Rheumatolog:innen. Dem gegenüber stehen aktuell 682 niedergelassene, vertragsärztliche internistische Rheumatolog:innen [4]. Für eine frühzeitige, adäquate und lebenslange Versorgung dieser Patient:innen ist diese Anzahl bereits heute zu gering [5]. Durch den derzeitigen verzögerten Behandlungsbeginn sinken die Chancen, entzündungsbedingte Gelenkschäden durch eine rechtzeitige Therapie zu verhindern [6]. Zur Zeit beträgt die ø Wartezeit auf einen Termin bei Patienten mit berechtigtem Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung zwischen 12 bis 40 Wochen. Medizinisch empfohlen sind maximal 6 Wochen. Lebenslange Einschränkungen für Patient:innen sind oftmals die Folge.
Nach einer Bedarfsermittlung der DGRh e.V.7 (2017), auf Basis der fachinternistischen Planung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, werden mindestens 1.350 internistische Rheumatolog:innen benötigt, um den Status einer bedarfsgerechten Minimal-Versorgung kurzfristig zu gewährleisten.
Um die rheumatologische Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe zu verbessern und um unerwünschten Konsequenzen wie einer Berufsunfähigkeit vorzubeugen, ist eine mittelfristige, deutliche Steigerung auf 2.100 internistische Rheumatolog:innen (3 je 100.000 Erwachsener) notwendig – unberücksichtigt der ohnehin‚ steigenden Anzahl von Patient:innen aufgrund des demographischen Wandels.
Wir, das unabhängige Bündnis für Rheumatologie, treten daher für die rheumatologische Versorgung von Millionen von Patient:innen heute und in der Zukunft ein. Hier können Sie sich die Forderungen des Bündnisses für Rheumatologie herunterladen.
Zur Sicherstellung der medizinisch notwendigen rheumatologischen Versorgung, …
… fordern wir die Verbesserung der ambulanten und stationären Weiterbildungssituation
Ambulante Weiterbildung
Durch die Neufassung der Bedarfsplanungsrichtlinie im Jahr 2019 sind freie Vertragsarztsitze für internistische Rheumatolog:innen entstanden, da mindestens acht Prozent der internistischen Sitze diesem Fachgebiet vorbehalten werden müssen. In der Realität konnten und können diese neuen Sitze jedoch größtenteils nicht besetzt werden, da die Weiterbildungsstellen für den rheumatologische Nachwuchs fehlen. Durch Förderung der ambulanten Weiterbildung muss diese Versorgungslücke kurzfristig verringert werden.
Der Gesetzgeber verpflichtete im § 75a SGB V Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen, die allgemeinärztliche Weiterbildung in Vertragsarztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren zu fördern. Diese Regelung muss auf die fachärztliche Versorgung in nachweislich unterversorgten Fachgebieten erweitert werden, insbesondere auf die Rheumatologie. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband sollen dafür die Vereinbarung zur Förderung der Weiterbildung gemäß § 75a SGB V entsprechend erweitern. Eine zügige Umsetzung kann nur durch eine gesetzliche Fristsetzung gewährleistet werden.
→ Wir fordern die Förderung der ambulanten Weiterbildung durch eine verpflichtende Regelung in § 75a SGB V.
Stationäre Weiterbildung
Die Ökonomisierung der akutstationären Behandlung durch Einführung des fallpauschalisierten Entgeltsystems (DRGs) hat zu einer Verschiebung der stationären Kapazitäten und Behandlungen hin zu umsatz- und gewinn-stärkeren Abteilungen und Leistungen geführt. Die akutstationäre Rheumatologie ist geprägt durch personalintensive und weniger durch hochbezahlte apparative Leistungen, daher für viele Kliniken wirtschaftlich weniger attraktiv und personell nur unzureichend ausgestattet. Zur Zeit orientiert sich die Anzahl der fachbezogenen Weiterbildungsstellen am Budget bzw. Gewinn der Fachabteilungen und nicht – wie medizinisch notwendig – am Versorgungsbedarf der Bevölkerung. Die Anzahl der Weiterbildungsstellen im Krankenhaus, wie auch in den ambulanten Einrichtungen, muss jedoch am Versorgungsbedarf der Bevölkerung bemessen werden. Nur so ist eine bedarfsgerechte akutstationäre und ambulante rheumatologische Versorgung der Erkrankten möglich.
→ Wir fordern die Bemessung der stationären Weiterbildungsstellen nach prognostiziertem Versorgungsbedarf der Bevölkerung.
… fordern wir die Sicherung und Verbesserung der rheumatologischen Präsenz an den Universitäten
Universitäre Lehre
Hochwertige Lehre vermittelt die notwendigen Fachkenntnisse und weckt das Interesse des wissenschaftlichen Nachwuchses an diesem wichtigen und innovativen Fach. Der klinischen Bedeutung der Rheumatologie entsprechend bilden die muskuloskelettalen Erkrankungen im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) ein eigenes Kapitel. Weitere Lernziele zu rheumatischen und immunologischen Erkrankungen werden in zahlreichen weiteren Kapiteln aufgeführt. Nun müssen die Bedingungen für eine zukunftsorientierte, rheumatologische Lehre in Deutschland geschaffen werden, um eine mittelfristige Versorgung zu sichern.
Rheumatologische Forschung
Die Grundlagenforschung, Diagnose, Therapie und Prävention von rheumatischen Erkrankungen ist ein hochinnovatives und zukunftsfähiges Forschungsfeld. Daher ist eine ausreichend geförderte, konkurrenzfähige universitäre Forschung die Voraussetzung für die wissenschaftliche Weiterentwicklung und für die Gewinnung motivierter Wissenschaftler:innen. Derzeit verfügen jedoch nur 10 der 36 staatlichen Universitäten über einen eigenständigen Lehrstuhl für Rheumatologie und noch immer ist die Rheumatologie nicht an allen medizinischen Hochschulen mit einer eigenständigen Abteilung vertreten. Dieser eklatante Mangel behindert eine international konkurrenzfähige rheumatologische Forschung.
→ Wir fordern die Schaffung eigenständiger rheumatologischer Abteilungen an jeder staatlichen Universität und die Steigerung der Anzahl an rheumatologischen Lehrstühlen.
… fordern wir die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für internistische Rheumatolog:innen
Anpassung der Sperrfristen an die Lebensrealitäten
Acht Prozent aller Internisten eines Planungsbereiches der Kassenärztlichen Vereinigung sollten rheumatologisch tätig sein – dies hat der Gemeinsame Bundesausschuss entsprechend der gesetzlichen Vorgaben festgelegt. In einigen Planungsbereichen wurden daraufhin neue rheumatologische Sitze mit fester räumlicher Zuordnung ausgewiesen. Aufgrund des bestehenden, hier thematisierten, Nachwuchsmangels sowie der spezifischen Lebensrealität der jüngeren Rheumatolog:innen (geringe Flexibilität aufgrund z.B. erwerbstätiger Partner:in oder schulpflichtiger Kinder) kann häufiger nur eine begrenzte Anzahl der Sitze binnen der Sperrfrist von einem Jahr besetzt werden. In der Folge fielen die unbesetzten Sitze an weitere internistische Schwerpunkte und gingen somit der minimalen bedarfsgerechten rheumatologischen Versorgungsstruktur verloren.
→ Wir fordern, eine Erweiterung der Sperrfrist zur Besetzung innerhalb des Schwerpunkts von einem auf drei Jahre. Sollten diese Sitze nicht besetzt werden können, so muss die Möglichkeit der Verlegung in angrenzende Planungsbereiche gewährleistet werden.
Planungssicherheit für die bestehenden rheumatologischen Sonderbedarfszulassungen
Eine Reihe von ambulant tätigen Rheumatolog:innen ist derzeit im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung tätig, d.h. rheumatologische Kassenarztsitze werden zur Behebung eines regionalen Versorgungsdefizites zeitlich befristet genehmigt. Diese Sonderbedarfszulassungen werden regelmäßig neu geprüft und bieten keine Planungssicherheit – insbesondere bei der Abgabe einer Praxis im Rahmen einer Nachfolgeregelung. Das führte u.a. dazu, dass bei der Umsetzung der neuen Bedarfsplanung, in einzelnen Regionen, Rheumatolog:innen aus einer Sonderbedarfszulassung auf einen neu geschaffenen rheumatologischen Vertragsarztsitz gewechselt sind. Im Zuge dessen entfiel der Sonderbedarfssitz. Eine Verbesserung der Versorgungskapazitäten wurde damit versäumt, da lediglich der Status quo der
Versorgungssituation fixiert wurde.
→ Wir fordern, dass angesichts der anhaltenden Unterversorgung einmalig Sonderbedarfszulassungen in reguläre Zulassungen umgewandelt werden.
… tragen wir zu einem grundlegenden Imagewandel der Rheuamtologie bei.
Rheuma haben doch nur alte Leute! Diese weitverbreitete Wahrnehmung geradezurücken, ist erklärtes Ziel unseres Bündnisses für Rheumatologie. Eine ankylosierende Spondylitis, die mit hierzulande über 300.000 Betroffenen zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung, beginnt typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Rund 40.000 rheumakranke Kinder und Jugendliche leben aktuell in Deutschland. Und auch die rheumatoide Arthritis, das „Rheuma“ im Volksmund, manifestiert sich oft bereits vor dem 50. Lebensjahr.
Die Rheumatologie hat bei Diagnostik und Therapie in den letzten beiden Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht. Innovative Therapieansätze ermöglichen es heute, Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen über viele Jahre hinweg wirksam zu helfen.
Die Rheumatologie ist eine innovative medizinische Disziplin, die fachübergreifendes Denken und wissenschaftliche Expertise ebenso erfordert wie Empathie und aufmerksame Gespräche mit den Patient:innen – quer durch alle Altersgruppen. Dafür tritt rheuma2025.de ein.
Quellen
1, 3, 7)
• 2,1% der erwachsenen Gesamtbevölkerung ist von entzündlich rheumatisch Erkrankungen betroffen (Memorandum DGRh 2017 uvam) = ca. 1,7 Mio;
• 15 Millionen Arthrosen (Gelenke und Wirbelsäule) (Fuchs, J., M. Rabenberg, und C. Scheidt-Nave. „Prävalenz ausgewählter muskuloskelettaler Erkrankungen: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1)“. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 56, Nr. 5–6 (Mai 2013): 678–86. https://doi.org/10.1007/s00103-013-1687-4.)
• 1,5 - 3 Mio Fibromyalgie-Patienten (Deutsche Schmerzgesellschaft W. Eich 2012; Zink et al., Z Rheumatol 2016 · 75:346–353) Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) 2017
2) Günther, A., und R. Trauzeddel. „Rheumatische Gelenkerkrankungen im Kindes- und Jugendalter – Teil 2“. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 8, Nr. 3 (Juni 2013): 179–93. https:// doi.org/10.1055/s-0032-1325051. Minden K. Classification and epidemiology of juvenile idiopathic arthritis. In: Hochberg MC, Silman AJ, Smolen JS, Weinblatt ME, Weisman MH (Hrsg.) Rheumatology (6th edition), Philadelphia (Elsevier) 2015, Chapter 100, p. 826-832
3) Zink, Minden, und List, „Themenheft 49 ‚Entzündlich-rheumatische Erkrankungen‘“, RKI, Heft 49, S. 23
4) Gesundheitsberichterstattung des Bundes; Versorgungsatlas Rheumatologie. ZfRheumatologie 2021, in press S. Froschauer et al.
5) Ärzteblatt 2017
6) Lorenz HM, Wendler J, Krause A, Improvement of prognosis by timely treatment: Requirement: initial presentation within 6 weeks, Z Rheumatol. 2019 Jun;78(5):396-403